Heute war ich mit Jennifer Timrott vom Verein „Küste gegen Plastik“ zum Interview verabredet. Sie hat die Replace Plastic App entwickelt, mit der jeder Verbraucher den Herstellern von Produkten mitteilen kann, dass er sich ein bestimmtes Produkt ohne Plastik wünscht. Je mehr Verbraucher das tun, desto wahrscheinlicher wird das Einlenken des Herstellers. Mit Jennifer Timrott habe ich mich über die Arbeit ihres Vereins, die Anwendung Replace Plastic App und die Zukunft der Meere gesprochen. Auf geht's!
Hallo Jennifer. Stelle’ dich und den Verein „Küste gegen Plastik“ doch einmal unseren Lesern vor.
Küste gegen Plastik ist noch ein recht kleiner Verein. Wir haben uns vor drei Jahren gegründet als Küstenmenschen, die nicht mehr hinnehmen wollen, dass ihnen der Plastikmüll am Meer buchstäblich vor die Füße fällt. Als wir den Verein gegründet haben, habe ich noch auf Hallig Hooge gelebt. Auf so einer Hallig im Wattenmeer ist man in besonderer Weise mit der Natur verbunden. Und es ist unbeschreiblich, was dort nach Stürmen alles angespült wird. Plastik in allen Farben und Formen. Da sind nicht nur Abfälle aus Schifffahrt und Fischerei, da liegt auch der ganze Restmist aus Super- und Drogeriemarkt: unser tägliches Leben in Tuben, Deckeln, Suppenbechern, Wasserflaschen, Puppenbeinchen, Klobürsten und Badelatschen. Das Meer kotzt (mehr dazu im Artikel Müllstrudel im Meer). Und das ist an der Festlandsküste, wo ich heute lebe, nicht anders. So ein Anblick ist immer wieder ein Schock. Es ist die unübersehbare und brutale Verletzung der Würde eines wunderbaren Lebensraumes.
Ich stimme dir 100% zu! Wie wollt ihr den Plastikmüll in der Umwelt reduzieren?
Wir machen Infoarbeit auf vielen Ebenen. Wir sind beim nationalen Runden Tisch Meeresmüll in der Arbeitsgruppe für Landseitige Einträge dabei, wir halten Vorträge, machen Medienarbeit, Infostände und Müllsammelaktionen. Ich glaube aber, dass es nicht damit getan ist, diesen Müll nur aufzusammeln. Wir müssen aufhören, ihn zu produzieren. Aber wie kann das gehen? Das Internet ist voll mit traurigen Videos über die Folgen von Plastikverschmutzung – gleichzeitig sind die Supermarktregale erschreckend leer, wenn man sich alle Produkte mit Plastikverpackung mal für einen Augenblick wegdenkt. Es gibt unglaublich viele Kampagnen, die auf eine Änderung des individuellen Verhaltens zielen. Das ist gut und wichtig. Jeder soll im Rahmen seiner Möglichkeiten gute Entscheidungen treffen. Warum aber gibt es kaum Kampagnen, die den Herstellern auf die Füße treten? Denjenigen, die dafür sorgen, dass wir kaum noch etwas ohne Plastik in den Regalen finden? Deshalb haben wir uns die ReplacePlastic App für's Smartphone (siehe auch den Artikel Die besten Zero Waste Apps) ausgedacht. Damit kann jeder den Herstellern von Produkten schnell und einfach mitteilen, dass er sich Verpackungen ohne Plastik wünscht.
Ihr nehmt den Verbrauchern damit eine große Hürde! Warum sollten Menschen die Replace Plastic App noch nutzen?
Ich bin überzeugt davon, dass es extrem wichtig ist, dass wir als Kunden den Herstellern unsere Wünsche übermitteln. Fast immer, wenn wir Herstellern wegen ihrer Plastikverpackungen geschrieben haben, hieß es in der Antwort sinngemäß: unser Unternehmen engagiert sich ja auch sehr für Umweltschutz und Nachhaltigkeit, aber wir können nicht anders, denn der Kunde will es so. Interessanterweise haben wir aber viel mit Kunden zu tun, die das ganz und gar nicht so wollen. Diese Stimmen müssen bei den Herstellern ankommen, damit sie in Forschung und Entwicklung zu umweltfreundlichen Materialien investieren.
Hier an der Küste haben wir eine besondere Verantwortung, dieses Thema anzupacken. Denn die Hersteller haben natürlich tausend Gründe für ihre Plastikverpackungen. Da geht es um den Produktschutz, um energiesparende Herstellungsprozesse, geringeres Transportgewicht und um eine vermeintlich bessere Umweltbilanz von Plastikverpackungen. Die Sache mit der Umweltbilanz finde ich immer besonders ärgerlich, denn in diese Bilanz fließen ja die krassen Auswirkungen gar nicht ein, die ein nicht verrottbares Material hat, das in großen Mengen in die Umwelt gelangt und dort nicht abgebaut werden kann. Diesen vermeintlich vernünftigen Argumenten der Hersteller müssen wir unsere alltägliche Erfahrung an unseren Stränden entgegensetzen. Die Küstenregion kann in der Plastikfrage eine einzigartige Rolle spielen. Das Meer bedeutet vielen Menschen etwas. Wir hoffen, dass aus der Liebe zum Meer und dem Wunsch, seine lebendige Schönheit zu erhalten, ein kräftiger Impuls in das Binnenland geht, um die die dringend notwendigen Veränderungen in der Plastikherstellung und im Umgang mit diesem unverrottbaren Material anzustoßen.
Du sprichst mir aus der Seele. Wie kann man die Replace Plastic App bekommen und wie wird sie angewendet?
Die Replace Plastic App kann für iOS und Android kostenlos im Apple Store und im Google Play Store heruntergeladen werden. Die Links findet ihr auch auf unserer Website unter kueste-gegen-plastik.de – Mit der App kann man einen Strichcode von einem Produkt scannen und damit eine Nachricht an den Hersteller erzeugen, dass man sich das Produkt in einer Verpackung ohne Plastik oder mit weniger Plastik wünscht. Wenn der Strichcode noch nicht in unserer Datenbank ist, kann sie Nachricht trotzdem gesendet werden. Wir recherchieren dann das Produkt anhand der übermittelten Barcodenummer. Alles, was wir zuordnen können, wird also trotzdem abgesendet.
Die Mail an den Anbieter geht raus, wenn 20 Stimmen für ein Produkt zusammengekommen oder wenn nach dem ersten Scan vier Wochen vergangen sind. Wir sammeln also erstmal ein bisschen, denn wir wollen die Hersteller nicht mit E-Mails bombardieren, sondern ihnen ein seriöses Feedback zu den Wünschen und Werten ihrer Kunden anbieten.
Großartig! Gibt es noch weitere Möglichkeiten, eure Arbeit zu unterstützen?
Wir freuen uns immer über finanzielle Unterstützung und neue Fördermitglieder. Mit der App sind natürlich Kosten und eine riesige Menge Arbeit verbunden. Aktuell würde ich mich auch über Unterstützung bei der Gemüse-Recherche freuen um unseren Datenbestand zu verbessern. Viele Produkte sind über ihre Strichcodenummer gut zu recherchieren. Bei Obst und Gemüse ist das aber leider nicht so. Das ist schade, weil das ein Bereich ist, in dem sich richtig viele Leute über Verpackungen ärgern. Ich gehe also oft in die Supermärkte und notiere mir die Strichcodes zu den Gemüsen, aber ich habe natürlich nicht alle Anbieter vor Ort. Wenn also jemand Zeit hat, mir von Obst und Gemüse, das noch nicht in unserer Datenbank ist, Fotos von der Strichcodenummer und von der Verpackung zu machen, so dass ich diese Angaben ergänzen kann, könnten wir das gemeinsam Stück für Stück verbessern.
Das kriegen wir hin. Wie siehst du persönlich die Zukunft der Meere und was treibt dich an?
Ich glaube, dass es höchste Zeit für ganz deutliche Veränderungen ist, wenn die Meere nicht im Plastikmüll (siehe auch den Artikel Plastikmüll in der Umwelt) ersticken sollen. Die negativen Auswirkungen unseres gesellschaftlichen Umgangs mit dem Plastik sind lange schon nicht mehr zu übersehen. Trotzdem steigt die Kunststoffproduktion und immer mehr Produkte werden in Plastik verpackt. Was mich antreibt ist die Liebe zu einer Natur, deren Lebendigkeit mir viel bedeutet und die sichtbar leidet. Aber auch der Wunsch, gemeinsam mit vielen anderen, denen das nicht passt, spürbar Einfluss zu nehmen. Es gibt nämlich schon sehr viele Leute, die das Thema Plastik bewegt. Das muss nun bei den Herstellern unüberhörbar ankommen und als Auftrag wahrgenommen werden. Dann ändert sich auch etwas, davon bin ich überzeugt. Wir müssen das gemeinsam hinbekommen.
Das sehe ich genauso! Ich danke dir für das nette Interview und bis bald!
Klasse, Jennifer spricht mir aus der Seele und sie erlebt jeden Tag hautnah, wie wir in unserem Plastik-Wahn unsere schönen Meere zerstören. Wir nehmen uns selbst unsere Natur, wenn wir nicht sofort lernen, umweltbewusster und plastikfreier zu leben. Damit ist es noch nicht getan. Auf der ganzen Welt werden täglich viele Beach CleanUps organisiert, die den bestehenden Plastikmüll in der Umwelt reduzieren. Hast du schon einmal überlegt, ein eigenes Beach CleanUp zu organisieren oder an einem CleanUp teilzunehmen? Es macht richtig Spaß und ist ein befreiendes, cooles Event. Ich lade dich hiermit auch herzlich in unsere weltweite Beach CleanUp Gruppe auf Facebook ein. Hier teilen Menschen aus der ganzen Welt ihre Aktionen gegen den Plastikmüll in der Umwelt.
Lass‘ uns etwas bewegen. Alle Projekte gemeinsam gegen den Plastikmüll!
Bleib‘ sauber,
PS.: Im Umweltschutz-Blog berichten wir regelmäßig über Umweltschutz-Projekte gegen Plastikmüll und andere Umweltprobleme unserer Zeit.
Da ich schon ein etwas älterer Jahrgang bin, der keine Apps nutzt und auch wenig mit dem Smartphone „hantiert“, zumal mir auch die Berge von Computerschrott große Sorge bereiten, nehme ich mir die Zeit und rufe bei Versandhäusern und sonstigen Anbietern, die auf Plastikverpackungen setzen, an oder schreibe Mails. Zum großen Teil bekomme ich positive Resonanz von denjenigen, die mein Anliegen gegen Plastik am anderen Ende der Leitung entgegen nehmen. Und das Interessante ist, dass derjenige/diejenige meistens ihre persönliche Betroffenheit in puncto Plastikvermüllung äußert, auch wenn das Unternehmen, für das sie arbeiten, (noch) nichts dagegen tut. Die Menschen sind sehr wohl betroffen und offen für einen Richtungswechsel! Gestern mailte ich an den Herausgeber einer katholischen Zeitschrift, er möge doch die Plastikversandtasche durch eine umweltfreundliche ersetzen, schließlich würde das auch besser zu den Inhalten passen, die sie in der Zeitschrift vertreten würden … Prompt kam die Antwort: ja, es ist uns auch ein dringendes Anliegen, wir arbeiten daran …
Es tut sich also etwas, wenn man sich bemerkbar macht!
Deswegen, liebe Freunde der Erde: macht euch weiter bemerkbar, bleibt dran! Und DANKE für jedes Engagement!
Hi Karin, ganz genau! Danke für deine Worte! 🙂
Auch wenn ich die Floskel „wir arbeiten dran…“ nicht mehr hören kann ist es wichtig, als Konsument seine Meinung an den Hersteller weiterzugeben.
Beste Grüße
Christoph
Danke, Karin! Dein Engagement gegen Plastikverpackungen per Mail ist super. Und wahrscheinlich ist es mindestens so wirkungsvoll, wie die Sache mit einer App anzugehen! Davon kann ich noch einiges lernen!
Liebe und Freiheit, Thomas Hochgesang aus Heidelberg
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